Eingesperrt zu sein, ohne eine Straftat begangen zu haben – für einige Jugendliche in der Schweiz ist dies Realität. Die KESB Winterthur-Andelfingen hat ihre eigene bisherige Praxis analysiert und fordert ein Umdenken.

«Ich bin überzeugt davon, dass sich junge Menschen nicht besser entwickeln, sondern dass es ihnen vielmehr schadet, wenn sie eingesperrt sind», sagt Karin Fischer, Präsidentin der KESB Winterthur-Andelfingen. Ende 2023 geriet die behördliche Unterbringung von sogenannt schwierigen oder herausfordernden Jugendlichen in geschlossenen Einrichtungen in den Fokus der Medien und der Politik. Für Unverständnis sorgte dabei insbesondere die Verlegung in ein Gefängnis als disziplinarische Massnahme. Die KESB Winterthur-Andelfingen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, ihre Vorgehensweise zu überprüfen und Leitlinien für die zukünftige Praxis zu entwickeln. Insbesondere wurde dabei geprüft, welche verschiedenen pädagogischen Konzepte im Umgang mit herausfordernden Jugendlichen angewandt werden. Die Schlussfolgerungen sind eindeutig: «Pädagogische Konzepte, welche einen Einschluss vorsehen, sind weder angemessen noch mit der Kinderrechtskonvention vereinbar.»

Die Argumente, die gegen Einschlüsse sprechen, seien zahlreich, sagt Fischer. So führten die Zwangsmassnahmen zum Vertrauensverlust zwischen Jugendlichen und Erziehenden. Oft empfänden die Betroffenen den Freiheitsentzug als Strafe, was den Aufbau einer positiven Beziehung erschwere.

Gestützt hat sich die KESB Winterthur-Andelfingen unter anderem auf die Erkenntnisse aus dem Nationalen Forschungsprogramm «Fürsorge und Zwang». Das vom Bund in Auftrag gegebene Programm ist Teil des Aufarbeitungsprozesses zu fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Der Blick zurück in die Schweizer Geschichte zeigt: Zwangsmassnahmen können die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigen. So kann die Isolation in geschlossenen Einrichtungen zu einem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit führen. Zudem besteht die Gefahr der Stigmatisierung: Jugendliche in geschlossenen Einrichtungen riskieren, als «nicht tragbar» oder «therapieresistent» wahrgenommen zu werden, was nicht nur ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigt, sondern auch zu sozialem Ausschluss führen kann. Und: An empirischen Belegen oder Nachweisen für eine nachhaltig positive Wirkung geschlossener Unterbringungen auf das Verhalten der Jugendlichen fehlt es.

Trotz dieser Erkenntnisse teilen nicht alle Fachpersonen die Haltung der KESB Winterthur-Andelfingen. Einige plädieren dafür, dass der Einschluss zum Schutz der Minderjährigen oder Dritter als letztes Mittel weiterhin möglich bleiben soll. Karin Fischer ist jedoch überzeugt, dass die Reaktionen der Jugendlichen ihre schwierigen Lebensumstände und Erfahrungen widerspiegeln. «Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft die Jugendlichen ernst nehmen und aktiv einbeziehen, auch wenn sie uns herausfordern. Jugendliche brauchen verlässliche, verfügbare und vertraute Bezugspersonen und Verständnis für ihr Verhalten. Nur so können sie sich gesund entwickeln.»